A07 - Industrie der Personendaten

SFB 1187-Projekt-A07-2024

 

Das Projekt leistet einen Beitrag zu kritischen empirischen Untersuchungen sowie zur rechtlichen Bewertung der intransparenten, komplexen und sich dynamisch entwickelnden Praktiken der Wahrnehmung und Sinnstiftung in der digitalen Werbung.

 


 

Zusammenfassung

Digitale Werbung gilt als zentrales Geschäftsmodell des Internets. Sie beruht auf dem expansiven Sensing von und algorithmischen Sense-Making über Nutzer*innen durch Social Media-Plattformen, Suchmaschinen und Smart Devices. Aus Verhaltens- und Sensordaten werden Wünsche und Interessen ebenso wie Persönlichkeitsmerkmale von Nutzer*innen abgeleitet, die im Programmatic Advertising für die softwaregestützte, automatische Ausspielung personalisierter Werbung eingesetzt werden. Zugleich werden die Praktiken des Tracking und Targeting zum Gegenstand öffentlicher Kontroversen und politischer Regulierungsbemühungen. Online-Werbung beruht auf einem komplexen Ökosystem von Marketingtechnologien und Akteur*innen, die das Teilprojekt als Industrie der Personendaten untersuchen wird. Hinter Bezeichnungen wie Customer Data Platforms (CDP), Data Management Platforms (DMP) und Consent Management Platforms/Providers (CMP) verbergen sich zentrale Intermediäre der fortschreitenden Erfassung, Akkumulation, Integration, Auswertung und Operationalisierung von Personendaten. Die Konturen der Industrie der Personendaten sind jedoch unscharf und die Rolle der Datenintermediäre wurde noch nicht hinreichend aus einer medien- oder rechtswissenschaftlichen Perspektive erforscht. Angesichts der Intransparenz und Komplexität der Industrie der Personendaten gilt es zu fragen, welche Akteur*innen mit welchen Geschäftsmodellen involviert sind, wie welche Daten gesammelt, geteilt und gehandelt werden und wie diese Praktiken juristisch zu bewerten sind.

Hier setzt das Projekt an, das an der Schnittstelle von Medien- und Rechtswissenschaft situiert ist und das komplexe Netzwerk des Personendatenhandels mit besonderem Blick auf die Rolle von Sensordaten erforscht. Verfolgt werden zwei Kernziele: Erstens macht sich das Projekt zur Aufgabe, innovative Methoden zu entwickeln, um die Erhebung und Zirkulation von Daten in der Industrie der Personendaten zu rekonstruieren und analysieren. Hierbei werden methodische Ansätze der Digital Methods sowie Critical Code und Software Studies mit juristischen Instrumentarien verknüpft, wie zum Beispiel dem systematischen Einbezug von Auskunftsansprüchen nach Art. 15 DSGVO oder Informationen über Marketingparameter nach Art. 26 DSA. Zweitens wird das Spannungsverhältnis zwischen personalisierten Werbeansprachen, den dahinterliegenden Netzwerken des Personendatenhandels und dem existierenden Datenschutzrecht sowie der angestrebten Entwicklung einer europäischen Datenwirtschaft sondiert. So verneinen die DSGVO und der gesamte Ansatz des europäischen Daten-/Privatheitsschutzes zwar den industrialisierten Handel von Personendaten, enthalten aber Schlupflöcher für weitreichende wirtschaftliche Nutzungen. Zugleich führt die stete Kritik an der DSGVO schon zu ihrer Einhegung durch die Rechtsprechung.

Im Zentrum des Projekts stehen die Netzwerke und Praktiken des Programmatic Advertising. Untersucht wird, welche Zentren der Kalkulation und Zirkulation sich identifizieren lassen und wie die beteiligten Akteur*innen die Grenzen zwischen identifizierbaren Personendaten und anonymisierten Zielgruppendaten praktisch aushandeln. Hieran anknüpfend wird aus einer rechtswissenschaftlichen Perspektive gefragt, wie weit die zu erforschenden Netzwerke und Praktiken mit dem Datenschutzrecht vereinbar, bzw. wie ‚dehnbar‘ die DSGVO und die ePrivacy-Regulierung sind. Rechtspolitisch stellt sich außerdem die Frage, welche Konsequenzen hieraus für eine künftige Regulierung abgeleitet werden können, zu der Gesetze einer entstehenden europäischen Datenwirtschaft gehören bzw. gehören werden, wie etwa der Data Act, der Data Governance Act, die KI-VO (Entwurf) und der Digital Services Act.

 

A07 untersucht, wie die Grenzen zwischen identifizierbaren personenbezogenen Daten und anonymisierten Zielgruppendaten in digitalen Werbepraktiken ausgehandelt werden und bewertet deren Vereinbarkeit mit dem Datenschutzrecht.

An der Schnittstelle von Medienwissenschaft und Recht situiert, untersucht es Praktiken des Trackings und Targetings durch Datenintermediäre, die als infrastrukturelles Rückgrat der digitalen Werbeindustrie dienen.

A07 konzentriert sich auf den Bereich der programmatischen Werbung und erforscht das Spannungsfeld zwischen personalisierter Werbung, Datenschutzrecht und dem Ziel der EU, eine Datenwirtschaft zu etablieren. Das Projekt verfolgt zwei Hauptziele:

  1. Entwicklung von Methoden zur Analyse und Überwachung der Industrien von personenbezogenen Daten
  2. Rechtliche Bewertung der empirischen Ergebnisse
Marketing Technology Landscape (Detail) (© Brinker (2020): Marketing Technology Landscape Supergraphic)
Marketing Technology Landscape (Detail)
(© Brinker (2020): Marketing Technology Landscape Supergraphic)

Differenct Actors in Online Advertising (© Becker (2021): Consent Management Platforms und Targeted Advertising zwischen DSGVO und ePrivacy-Gesetzgebung)
Differenct Actors in Online Advertising
(© Becker (2021): Consent Management Platforms und Targeted Advertising zwischen DSGVO und ePrivacy-Gesetzgebung)

 

Das interdisziplinäre Projekt entwickelt Methoden zur empirischen Beobachtung und kritischen Analyse der Industrie der Personendaten durch die Verbindung von

  • Ansätzen der Digital Methods, Critical code und Software Studies mit
  • Juristischen Methoden, wie die systematische Einbeziehung von Auskunftsansprüchen nach Art. 15 DSGVO oder Informationen über Marketingparameter gemäß Art. 26 DSA

AP1 koordiniert die interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Synthese der empirischen und juristischen Forschungsergebnisse:

  • Erarbeitung der Medien- und Datenpraktiken im Bereich des Programmatic Advertising
  • Kollaborative Analyse und iterative Weiterentwicklung des gemeinsamen Forschungsansatzes
  • Aufbau von Netzwerken mit relevanten Akteur*innen und Expert*innen im Bereich der Online-Werbung und des Datenschutzes

AP2 widmet sich zwei komplementären Fallstudien zur Kartierung der Industrie der Personendaten:

  • Erprobung von Auskunftsansprüchen nach Art. 15 DSGVO als Forschungsmethode zur Untersuchung wie Nutzer*innen von Datenintermediären (DMPs, CMPs, CDPs, Data Brokern u.a.) als Datensubjekte konstituiert, verrechnet, kategorisiert und adressiert werden
  • Analyse des OpenRTB-Protokolls und des TCF-Standards zur Rekonstruktion des Datenflusses in der programmatischen Werbung

AP3 fokussiert die juristische Bewertung der in AP2 erarbeiteten empirischen Forschungsergebnisse über die Industrie der Personendaten. Zentrale datenschutzrechtliche Einrichtungen werden hinterfragt und weiterentwickelt:

  • Personenbezogene Daten im EU-Datenschutz und in der europäischen Datenwirtschaft
  • Identität und Identifizierbarkeit
  • Probleme der Einwilligung
  • Haftung und Zuweisung von Verantwortung

 

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