P01 - Medien der Praxeologie I: Multisensorische Medialität und kooperative Praxis
Teilprojektleitung:
Dr. Derek Coates Prof. Dr. Waverly Duck
(Assoziiertes Mitglied)
(Assoziiertes Mitglied)
Prof. Dr. Michael Lynch
(Ehem. Teilprojektleiter)
Ehemalige Mitarbeitende:
Prof. Dr. Tristan Thielmann
(Ehemaliger Teilprojektleiter)
„Das Projekt untersucht die kooperative Bewältigung, Verantwortlichkeit und sozio-technische Mediatisierung multisensorischer Praktiken. Es erweitert die digitale Praxeologie, indem es im Detail aufzeigt, wie verkörperte und interkorporelle Praktiken der Kooperation grundlegend für die Untersuchung von Sensorialität und Medialität sind.“
Zusammenfassung
Wie in den vergangenen beiden Projektphasen von P01 detailliert untersucht wurde, hat Harold Garfinkel seit den 1950er und 1960er Jahren kontinuierlich die impliziten, permanent fragilen medialen Dimensionen der routinemäßigen Produktion sozialer Ordnung herausgearbeitet. Methodisch setzte er dies u. a. in einer Reihe von praktischen Experimenten mit Studierenden durch induzierte sensorische, kognitive, intersubjektive und normative Brechungen um. Orientiert an Wittgenstein, Gurwitsch und Merleau-Ponty zeigte Garfinkel, wie vermeintlich innerpsychische Vorgänge wie Verstehen und Interpretation sowie sogar Wahrnehmung und Empfindung erstens interaktionale Verfertigungsleistungen darstellen sowie zweitens sozio-technisch bedingt und drittens öffentlich sind. Es handelt sich somit selbst bei sensorischen und perzeptiven Praktiken mithin um genuin soziale Phänomene.
Vor dem Hintergrund dieser Vorarbeiten vertieft das Teilprojekt P01 seine praxeologischen Untersuchungen, indem es nun die multisensorischen Praktiken verkörperter Kooperation sowohl theoretisch als auch empirisch in den Fokus nimmt. Dieser Schwerpunkt bezieht sich neben den Forschungsergebnissen von P01 aus den ersten beiden Projektphasen daher auch auf empirische Untersuchungen der hinzugekommenen Teilprojektleiter*innen zur Interkorporalität (Meyer et al. 2017a, b) und multisensorischen Interaktion (Mondada 2021). Die geplanten Erkenntnisse bilden für den gesamten SFB zum einen den empirisch gesättigten theoretischen Ausgangspunkt für das bessere Verständnis digitaler Medienpraktiken, denen verkörperte sensorische Praktiken systematisch zugrunde liegen, und der Entwicklungen im KI- und Robotik-Bereich, in denen diese entweder nachgebildet oder interaktional simuliert werden. Zum anderen werden sie sozio-praktische und -technische Implikationen hinsichtlich der inklusiven Zugänglichkeit digitaler Infrastrukturen aufzeigen.
Das Forschungsdesign der dritten Phase besteht daher aus komplementär angelegten Untersuchungen, die die Relevanz des Sehens und der Blindheit in der Interaktion bei der Verfertigung, Öffentlich-Machung und sozio-technischen Medialisierung von Wahrnehmungen berücksichtigen: (1) Die hybride Studie zu den „tutorial problems“ (Garfinkel 2002, 2022) macht die verkörperten, medialen und sozio-technischen Bedingungen von Wahrnehmung in Alltag und Wissenschaft explizit. (2) Die ethnomethodologische Ethnographie untersucht die multisensorischen kooperativen Praktiken in der professionellen Physiotherapie. (3) Die videoanalytische Ethnographie der kooperativen multisensorischen Praktiken analysiert in verschiedenen „tasting sessions“ (Mondada 2021) auf Objekte bezogenene multisensorische kooperative Wahrnehmungspraktiken. Das Projekt kombiniert somit die weitere Rekonstruktion der ethnomethodologischen Theorieentwicklung – indem das Harold Garfinkel-Archiv (HGA) und das umfangreiche Material zur Thematisierung von Wahrnehmungspraktiken weiter erschlossen wird – mit zwei sich ergänzenden empirischen Analysen zur Rolle von Multisensorik in ihren situationalen Variationen medialer und semiotischer Bedingungen. Es setzt die Verschränkung von Medien- und Sozialtheorie der digitalen Praxeologie fort, die systematisch aufzeigt, inwiefern im Bereich der Sensorik verkörperte und interkorporale Praktiken der Kooperation grundlegend sind.
P01 focuses on the multisensorial practices of corporeal cooperation and their technological mediations to advance our understanding of:
- the relationship of human and machine sensemaking
- the relevance of sensoriality for disabilities and social inequality
- contributions of sociology and interactional linguistics to the study of sensations and perceptions
The project focuses on sensorial practices in everyday and professional activities, relying on empirical video materials and on tutorials and experiments with the inverting lenses from the Harold Garfinkel Archive.
- How do embodied practices involve sensing the other and sensing the world?
- How are they achieved in an accountable and intersubjective way?
- How can they be mediated, enhanced but also limited by technologies?
The praxeological and interactional Ethnomethodology and Conversation Analysis perspective is implemented and further developed in various approaches:
- Historical praxeology
- Reflexive ethnography
- Field studies
- Re-enactments
- Video recordings
- Multimodal transcripts
- Multimodal analysis
3 complementary work packages:
- WP1 “Tutorial Archive“: Late Garfinkel’s insights on instructed action, embodied practices and perception.
- WP2 “Intercorporeal Co-Sensing“: Multisensorial embodied practices between participants in professional physiotherapy.
- WP3 “Co-Operative Con-Sensing“: Sensorial practices with materiality, synesthesia and con-sensing in everyday food-related activities.
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