A01 - Geschichte digital-vernetzter Medien zwischen Spezialisierung und Universalisierung
„Das Projekt verfolgt eine historische Praxeologie digital vernetzter Medien, die spezifische technoökonomische Entwicklungen seit 1989 in den Vordergrund stellt. Wir verorten kooperative Datenpraktiken, Geschäftsmodelle und Infrastrukturen der Erfassung, Überwachung und Umgebung in Werbe- und Sensornetzwerken.“
Zusammenfassung
Das medienhistorische Teilprojekt rekonstruiert in seiner dritten Laufzeit die Entwicklung neuer Web- und Internettechnologien seit 1989. Seine Fallstudien widmen sich zum einen der Verdatung physikalischer Umwelten durch spezialisierte Nahfunktechnologien, insbesondere Bluetooth. Zum anderen verfolgen sie die Universalisierung von individualisierter webbasierter Werbung im Übergang von ‚Web‘ zu ‚Web 2.0‘. Beide Gegenstandsbereiche – Werbe- und Sensornetzwerke – werden hinsichtlich der in ihnen hervorgebrachten Praktiken, Geschäftsmodelle und Infrastrukturen des capturing, monitoring und environing verstanden. Hierzu schließt das Projekt an medientheoretische und datenkritische Arbeiten des Informatikers Philip E. Agre an und erschließt zugleich dessen bisher unterschätztes Werk neu. Mit Agre verfolgt das Projekt in seiner abschließenden Laufzeit eine politische Ökonomie der digital vernetzten Medien, die die wechselseitige Verfertigung von datenintensiven Medien zwischen Kontroll-, Sensor- und umweltlichen Praktiken erklärbar macht. Im Vordergrund der historiographischen Arbeit stehen dabei Universalisierungen, mit denen das fortwährende capturing personenbezogener Daten zur normalisierten Grundlage von Internet-basierten Ökonomien geworden ist.
Methodisch ist das Teilprojekt zwischen historischer Praxeologie, Science and Technology Studies (STS) und der History of Computing bzw. Networking verortet. Es entwickelt neue digitale historiographische Methoden, die mit Materialien eines born-digital cultureheritage umgehen, die die Fallstudien zu Werbe- und Sensornetzwerken jeweils kritisch erschließen. Mit seiner dritten Laufzeit zielt das Projekt auf eine Synthese der historischen Überkreuzung von Ökonomie und digital vernetzten Medien. Zugleich historisiert es den Umgang digitaler Kulturen mit alltäglichen Formen der Überwachung, die im Wechselspiel von monitoring und capturing soziotechnische Medienumwelten im 21. Jahrhundert nachhaltig prägen.
- How has web monitoring become the basis of pervasive techno-economic capturing?
- How are media environments constituted on the basis of data practices and sensing?
- How did digital “surveillance capitalism” historically link online and offline capturing (since 1989)?
Historical Praxeology following the practice turn approach in media studies
- Distant and close-reading of born-digital heritage and digital native material
- Semi-structured interviews
- Inventive historiographic practices and methodologies
Environing: Bluetooth Practices
- Analyses the universalization of specific digital networking technologies and objects at the intersection of location- and situation-based media environments.
Monitoring: Advertising Networks and the Web
- Reconstructs how continuous capturing and monitoring have become the standard business model of the public internet.
Capturing: Rethinking (with) Philip E. Agre
- Investigates the media theoretical grounding of environing, monitoring and capturing, and the unfolding of a political economy under digital corporate conditions.
Infrastructural Inversion in Media History
- Lays out how digital network technologies become universalized as media environments, and
- which economic, organizational, and technological trajectories underpin the data economies of capitalism.
➔ Hier geht es zum Projektarchiv 2020–2023
Publikationen
Aktuell
ZfM 29 „Test“
Das vorliegende Heft fragt, wie sich Medien und Tests wechselseitig konstituieren. Besondere Aufmerksamkeit erfahren dabei Politiken des Testens. Wir schlagen vor, Tests als offene Situationen zu verstehen, in denen mit teils etablierten, teils sich erst während des Testens etablierenden Maßstäben soziotechnische Bewertungen erfolgen und Entscheidungen getroffen werden. Für einen medienkulturwissenschaftlichen Begriff des Tests gilt: In den Mikroentscheidungen des verteilten und verteilenden Testens steht das Soziale selbst auf der Probe. Die in diesem Heft versammelten Beiträge verdeutlichen: Kein Test ohne Medien – kein Medium ohne Test.
Gießmann, Sebastian; Gerlitz, Carolin (Hrsg.). 2023. „Test: Einleitung in den Schwerpunkt”. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft. Jg. 15, Heft 29 (2/2023): 10–19. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/20051.