P02 - Medien der Praxeologie II: Anthropologie der Kooperation: Skill, Deixis, Wechselwirkung
Dr. Christian Meier zu Verl
(Assoziierts Mitglied)
Dr. Andrea Ploder
(Assoziierts Mitglied)
Dr. Johannes F. M. Schick
(Assoziierts Mitglied)
Ehemalige Mitarbeitende:
Prof. Dr. Christian Meyer
(Ehemaliger Teilprojektleiter)
„Das Projekt untersucht die erstaunliche Konvergenz zwischen unterschiedlichen Grundlagenforschungen, die sich um eine anthropologische Verallgemeinerung bemühen: Das spezifisch Menschliche des Homo sapiens sapiens wird in seiner Kooperationsfähigkeit gesehen und die Kooperationsfähigkeit wird sowohl ontogenetisch als auch phylogenetisch mit Übergängen zum Potential eines kooperativen Zeigens identifiziert.“
Zusammenfassung
Das Thema des Teilprojekts ist die Untersuchung der erstaunlichen Konvergenz zwischen unterschiedlichen Grundlagenforschungen, die sich um eine anthropologische Verallgemeinerung bemühen: Das spezifisch Menschliche des Homo sapiens sapiens wird in seiner Kooperationsfähigkeit gesehen und die Kooperationsfähigkeit wird sowohl ontogenetisch als auch phylogenetisch mit Übergängen zum Potential eines kooperativen Zeigens identifiziert. In den aktuellen praxistheoretischen Varianten zeichnet sich das kooperative Zeigen zugleich dadurch aus, dass es in jeweils spezifischer Form Fertigkeiten herausbildet und eingrenzt; Skills, die durch das kooperative Sehen und Zeigen lehr- und lernbar werden (durch Professional Vision in Communities of Practice), aber auch Medien, die sowohl ad hoc gebildet als auch auf Dauer gestellt werden können.
Diese Konvergenz hat trotz ihrer verschiedenen Ausprägungen in der Linguistik, der linguistischen Anthropologie, der Verhaltensforschung, der Entwicklungspsychologie, der Ethnomethodologie und Konversationsanalyse, der Distributed Cognition und in unterschiedlichen philosophischen Diskussionen keine übergreifende Terminologie hervorgebracht. Bisher handelt es sich vor allem um ein Patchwork von theoretischen Entwürfen, deren Reiz gerade darin besteht, eine grundsätzlich gut erkennbare Konvergenz mit disziplinären Präzisierungen und empirischen Untersuchungen zu verbinden. Diese Konstellation fordert auch die Wissenschaftsgeschichte heraus, insofern die entsprechenden Forschungen an sozialtheoretische Entwürfe zur Kategorie der „Wechselwirkung“ anschließen, jener Kategorie, die von Georg Simmel aus guten Gründen am Ende des 19. Jahrhunderts zur Begründung der „Vergesellschaftung“ herangezogen wurde und durch verschiedene Transferwege ins Deutsche zurück- und teilübersetzt wurde: u. a. als „Interaktion“ (aus der amerikanischen Übersetzung der „Wechselwirkung“ in Chicago) und „Reziprozität“ bei Durkheim und Mauss, aber auch als „Gegenseitigkeit“ und „Wechselseitigkeit“ (im Strukturalismus und in der Phänomenologie). Das Teilprojekt widmet sich der Synthese dieser weitgehend unerkannten Begriffs- und Forschungsgeschichte(n), inklusive einer Serie von Medienbegriffen, die außerhalb der Medienwissenschaft vor allem aus Begriffen der „Vermittlung“ gewonnen wurden; einer interdisziplinären Fachgeschichte der Linguistik, Soziologie und Anthropologie, und last but not least einer Medientheorie der Kooperation, die mit den ältesten und den neuesten Medien zurechtkommen soll.
- Die Untersuchung der Rolle des Zeigens (inklusive Deixis und Indexikalität) in der anthropologischen Forschung.
- Die Erforschung der Begriffsgeschichte der Wechselwirkung (bzw. interaction, reciprocité).
- Die Untersuchung von Skills, und zwar insbesondere in den Bereichen des kooperativen Skill-Lernens und ihrer Deixis und Indexikalität.
Der anthropologische Nukleus:
- Zeigen ist kooperatives Sehen.
- Kooperatives Sehen ist kooperatives Lernen.
- Kooperatives Lernen schafft gemeinsame „skills“.
Das Vorbild für die Form der angestrebten theoretischen Synthese ist Karl Bühlers Krise der Psychologie.
Das Teilprojekt P02 ist wissenschaftshistorisch ausgerichtet und basiert auf vier Arten von Daten:
- Publikationen
- unpublizierte Schriften
- Artefakte, Audio- und Videoaufzeichnungen, Notizen und anderes (Archiv-)Material
- Oral History Interviews mit zentralen Protagonist*innen der Projekte und Expert*innen zu einzelnen Teilen der betreffenden Begriffsgeschichte
Diese Daten werden mit Blick auf die historische Entwicklung von Theorien, Praktiken und Kontroversen analysiert. Im Sinne der Quellenkritik werden sie auf ihren Entstehungskontext, die adressierten Öffentlichkeiten und die Interessen und institutionellen Kontexte derjenigen, die sie produziert und aufbewahrt haben, befragt.
Das Arbeitsprogramm besteht aus drei Arbeitspaketen, die u. a. folgende Arbeitsschritte beinhalten:
AP1 Zeigen
- Expert*inneneninterviews Psychologiegeschichte
- Archivrecherche
AP2 Wechselwirkung
- Archivforschungen
AP3 Skills
- Oral History Interviews und Expert*inneninterviews
In jeder der drei Arbeitsphasen wird zudem ein Workshop organisiert, dessen Beiträge in ausgearbeiteter Form publiziert werden sollen.
Die drei Arbeitspakete werden in den ersten drei Jahren des Projekts bearbeitet. Im vierten Jahr sollen die Ergebnisse synthetisiert werden.
➔ Hier geht es zum Projektarchiv 2020–2023
Publikationen
Aktuell
From Sprachtheorie to Semantics and Cybernetics: Karl Bühler’s ‘Pocketbook on Practical Semantics’
Among the many Central European scholars and intellectuals driven into exile across the Atlantic in the 1930s was the prominent Vienna psychologist Karl Bühler (1879–1963). Bühler had great difficulty establishing himself in his new home of the United States, despite his attempts to adapt his ideas to the American scene. In this paper, we look at one such attempt at adaptation, the unpublished manuscript of Bühler’s „Pocketbook on Practical Semantics“, an effort to turn the Sprachtheorie of his Vienna period into a contribution to the applied semiotics and communications research popular in America at the time. Our paper represents the first detailed examination of the „Pocketbook“ manuscript that places it in its context in the history of semiotics.
McElvenny, James, und Clemens Knobloch. 2023. „From Sprachtheorie to Semantics and Cybernetics: Karl Brühler's ‚Pocketbook on Practical Semantics‘“. Semiotica. Journal of the International Association for Semiotic Studies 251 (2023): 39-54. DOI: https://doi.org/10.1515/sem-2022-0046.