Werkstatt Praxistheorie Sommer 2019

Die Werkstatt Praxistheorie widmet sich in diesem Semester den Medienpraktiken des Registrierens und Identifizierens.

Das übergreifende Ziel der Werkstatt Praxistheorie A ist eine Neuperspektivierung der Mediengeschichte und Medienanalyse, die Praxis allen anderen Größen vorlagert und deshalb vor allem Produktions- und Arbeitsprozesse in den Vordergrund rückt. Für die historiographische und ethnographische Arbeit sollen die ‚Medien der Kooperation‘ in drei praxis- und medientheoretischen Kategorien heuristisch erfasst werden: Medienpraktiken der Koordination, Medienpraktiken der Delegation und Medienpraktiken der Registrierung und Identifizierung. Anhand dieser Kategorien werden Medienpraktiken in Öffentlichkeiten und Infrastrukturen untersucht.
Praxistheorie B wird sich der ‚Theoretischen Empirie‘ widmen und Forschungen versammeln, die es verstehen, Fragen der Theorieentwicklung und eigenständige empirische Forschung präzise aufeinander abzustimmen. Zu diesem Zweck lassen sich drei ‚Mittelpunkte‘ benennen, welche sich seit dem ‚Practice turn‘ herauskristallisiert haben:

(1) Medienpraktiken des Entstörens und Reparierens (2) Medienpraktiken des Experimentierens und (3) Medienpraktiken des Aktualisierens.

 

Vorträge im Sommersemester 2019:

Mittwochs um 18:00
Herrengarten 3, Raum AH- 217/18
 

The paper argues that an ethos of experimentation is of central importance to contemporary neoliberal state politics – characterised by administrative decentralization, economic liberalization, infrastructural investment, and managerial government. Focusing primarily on the indeterminate and emergent forms of political life that take hold around processes of state decentralization in post-war Peru, the paper examines the complex politics of scale that mark relationships between diverse instances of the state. These emerge with particular clarity in infrastructure projects where attempts to reconfigure specific material and social relations confront conflicting competencies of national, regional and local agencies. A proliferation of technical instruments and norms are brought to bear in an attempt to contain the disruptive effects of such multiplicity. However, in practice, the diverse origins and orientations of these instruments and norms, foster ambiguity and uncertainty. State functionaries and citizens alike skilfully mobilize the multiple possibilities that the ambiguous regulatory frameworks offer them. But such attempts also reveal the precarious quality of the political, the arbitrary enactments of power and the techniques of differentiation that the ethos of experimentation also enables.

Since the early days of photography, it was hailed for the novel vistas that it provided. For being able to see with the help of photography, both the moment of capture, as well as the development of the captured image, had to be carefully orchestrated. Various ways for doing so were developed, and how-to-guides were distributed and published. A particular interest evolved in exploring the interrelations between bodies and photographic technology, since camera technology was considered to be useful for detecting and identifying both individuals and collective types. In order to do so, initial preparation and subsequent forms of analysis were of particular interest, and the various forms developed may be considered particular suggestions for attachment. This interest continues today, as camera technologies are deployed ‘in the wild’ for purposes of detection, registration and identification, often coupled to partially automated systems. This paper discusses exemplary couplings between bodies and camera technologies, and points towards a remaining tension in their use: a suspicion towards both bodies and technologies.

In der Soziologie ist die Praxis des Identifizierens und Klassifizierens Gegenstand der Untersuchung sozialer Disparitäten (Bourdieu 1999), sowie Grundlage für die Analyse von Entscheidungsprozessen (Luhmann 1990), die Untersuchung kritischer Akteurskompetenzen (Boltanski & Thévenot 2007) und Bewertungspraktiken (Lamont 2012, Kropf und Laser 2019). Zugleich aber trägt sozialwissenschaftliche Forschung zur Herstellung politischer Realitäten, bis hin zur politischen Staatenbildung bei (Desrosières 1993, Bowker & Star 1999, Law & Urry 2004, Didier 2009). Folglich legt von der mir entwickelte soziologische Experimentalismus im Anschluss an Dewey (Dewey 1996, 2008) nahe, das Beobachtete methodologisch mit der eigenen Forschungspraxis zu verknüpfen: Wie soziale Akteure identifizieren und klassifizieren auch wir und tragen damit zur Herstellung von Sozialitäten bei (Bogusz 2019). Das trifft insbesondere auf Praktiken der Kooperation zu, die, medial gestützt und motiviert, ebenso in Gesellschaft stattfinden wie Teil sozialwissenschaftlicher Forschungspraxis sind. Diese trivial klingende Feststellung wird zu einer komplexen Herausforderung, sobald politische Kooperationen, wie von Richard Sennett gefordert (Sennett 2012), nicht mehr primär von relativ homogenen, sondern ausgehend von soziomateriell und kulturell heterogenen Akteuren gebraucht werden, um ebenso tradierte wie gegenwärtig fortschreitende politische Fragmentierungsprozesse umzulenken. Auf der Grundlage des Kapitels „Testdurchlauf III: Was heißt Kooperation? Experimentalismus als Beitrag zu einer kritischen Sozialökologie“ in meinem Buch „Experimentalismus und Soziologie“ (Bogusz 2018) will ich mit Ihnen und Euch über die Frage nachdenken, wie und mit welchen Mitteln Heterogenitäten so identifiziert werden können, dass politische Kooperationen möglich sind. Im Vortrag werde ich anhand von ausgewählten erfolgreichen heterogenen Kooperationen 1) die theoretischen Grundlagen des soziologischen Experimentalismus anreißen und 2) dessen methodologische Heuristik skizzieren. Im Workshop möchte ich dann – gerne auch anhand von eingebrachtem medienwissenschaftlichen Material – drei Fragen vertiefend diskutieren: 1. Wie lassen sich soziomateriell heterogene BeiträgerInnen zur Bearbeitung politischer Probleme identifizieren und welche trade-off-Effekte könnte eine solche Identifizierung für sozial- und medienwissenschaftliche Forschung haben? 2. Welche Vermittlungs- und Motivationskompetenzen kommen dabei Medien zu, wen und was schließen sie ein und aus und wie könnten sie soziokulturelle Heterogenitäten (infra-)strukturationsfähig machen, d.h. entsprechende politische Prozesse beobachtend begleiten, mit-koordinieren, gar delegieren? 3. Wie ließen sich aus diesen Erkenntnissen Parameter für eine sozial- und medienwissenschaftliche Aktualisierung kritischer Öffentlichkeiten entwickeln?

Zitierte Literatur

Bogusz, Tanja (2018): Experimentalismus und Soziologie. Von der Krisen- zur Erfahrungswissenschaft. Frankfurt am Main & New York: Campus.

Bogusz, Tanja (2017): „Zur Soziologie der Bewertung in Pragmatismus und Experimentalismus. Symmetrie, Objektkonstitution, Forschungspraxis“, in: Lessenich, Stephan (Hg.): Geschlossene Gesellschaften. Verhandlungsband des 38. Kongresses der DGS, 26.-30.9.2016 in Bamberg. Frankfurt am Main & New York: Campus.

Boltanski, Luc und Laurent Thévenot (2007): Über die Rechtfertigung. Soziologie der kritischen Urteilskraft. Hamburg: Hamburger Edition.

Bourdieu, Pierre (1974): „Strukturalismus und soziologische Wissenschaftstheorie“, in Ders.: Zur Soziologie der symbolischen Formen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 7-41.

Bourdieu, Pierre (1999): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Bowker, Geoffrey und Susan Leigh Star (1999). Sorting Things Out. Classification and It’s Consequences. Cambridge, Massachusetts und London: MIT Press.

Dewey, John (1996): Die Öffentlichkeit und ihre Probleme. Bodenheim: Philo.

Dewey, John (2008): Logik. Die Theorie der Forschung. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Kropf, Jonathan und Stefan Laser (Hg.) (2019): Digitale Bewertungspraktiken. Für eine Bewertungssoziologie des Digitalen. Wiesbaden: Springer VS.

Lamont, Michèle (2012): „Toward a Comparative Sociology of Valuation and Evaluation”, in Annual Review of Sociology, 38. Jg., S. 201-221.

Law, John und John Urry (2004): „Enacting the social“, in: Economy and Society, 33. Jg., Heft 3, S. 390-410.

Sennett, Richard (2012): Together. The Rituals, Pleasures, and Politics of Cooperation. London: Penguin.