Im Gegensatz zu Büchern, Gemälden oder fotografischem Film ist die Oberflächenerscheinung digitaler Medien von ihrer technischen Struktur entkoppelt (Hansen 2010). Was sich an der Oberfläche zeigt, ist letztlich das Ergebnis einer zunehmend autonomen Vermittlungsleistung zwischen dem, was für uns Menschen und dem, was für Maschinen „Sinn ergibt“. Um sich diesem Dialog als kritischem Bestandteil audiovisueller und medienethnografischer Wissensproduktion und -vermittlung zuzuwenden, ist eine Neuausrichtung unserer Feldforschungsmodalitäten und Wissensformate erforderlich. Denn diese sind von Konventionen geprägt, die digitale Materialität in ihrem Kern (z.B. Modularität, Kombinatorik oder Automatisierung) übergehen und Forschungsinstrumente wie Digitalkameras, Smartphones oder Software als bloße Assistent*innen verstehen (z.B. Favero & Theunissen 2018). Computational correspondence (Weidle 2020) beschreibt einen Forschungsmodus, der diese deterministischen Auffassungen überwindet und in einen aktiv-reflexiven Austauschprozess mit digitaler Materialität als Teil der ethnografischen Forschungspraxis tritt. Die emergenten Eigenschaften dieses Wechselspiels schärfen den Blick für die Methode und den Prozess als eigenständige und bewegliche, nicht-lineare Wissensformen und -formate.
In der Meisterklasse geht es um eine kritische Reflektion der gelebten Praxis mit digitaler Materialität. Der Forschungsmodus wird mit Hilfe des interaktiven Autorentools „Korsakow“ verdeutlicht. Dazu werden wir in praktischen Übungen mit Korsakow in einen Dialog treten, um mögliche neue Zugänge innerhalb der eigenen Forschung zu explorieren und diese in der Gruppe zu besprechen. Es stellt sich auch die Frage, wie Forschung visualisiert und ob die Sichtbarmachung des Austauschprozesses mit der Software zur Vermittlung der wissenschaftlichen Ergebnisse genutzt werden kann. Neben Korsakow soll es Raum für Explorationen mit anderen digital-basierten Werkzeugen, Infrastrukturen und Materialien geben. Gern kann Videomaterial aus der eigenen Forschungsarbeit mitgebracht werden.
Zeitplan
22.4., 10 – 18 Uhr |
Einführung in die Computational Correspondence und Korsakow ab 15 Uhr eigenständiges Arbeiten mit Betreuung
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23. – 27.4. |
Selbstgesteuerte Feldübungen Es werden Fragestellungen und weitere Materialien zur Verfügung gestellt.
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28.4., 10 – 18 Uhr in Siegen 29.4., 9 – 13 Uhr in Siegen |
Diskussion der Übungen, gemeinsame Weiterarbeit/Ausdifferenzierung des Konzepts |
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Informationen zur Teilnahme
Zielgruppe: Die Meisterklasse richtet sich an Forschende im Bereich digitaler Medien, die sich für visuell ethnografische Methoden interessieren
Zeit- und Arbeitsplan: Die Meisterklasse besteht aus einer eintägigen Onlineveranstaltung (22.4.), in der der Ansatz der „Computational Correspondence“ vorgestellt und an praktischen Beispielen diskutiert werden soll sowie erste eigene Gehversuche mit der Korsakow Software unternommen werden können. Es schließt sich eine selbstgesteuerte Erprobungsphase an, um Feldübungen am eigenen Material durchzuführen. Diese sollen dann in einem 1,5-tägigen Workshop in Präsenz (28.-29.4.) präsentiert und diskutiert werden.
Voraussetzungen: Grundkenntnisse ethnografischer Forschungsmethoden, Kenntnisse in Videoaufnahme und Videobearbeitung von Vorteil
Seminarsprache: Deutsch / Englisch
Maximale Teilnehmendenzahl: 20
Teilnahmebedingungen: Wir setzen voraus, dass alle Teilnehmenden damit einverstanden sind, das Videokonferenzsystem Zoom im Zusammenhang mit dem Workshop zu nutzen und die für die Arbeit zur Verfügung gestellten Daten verantwortungsvoll und vertraulich zu behandeln. Teilnehmende sind bereit, sich eine Testversion der Korsakow Software zu installieren und ggf. ihren Bildschirm freizugeben, um erstellte Projekte im Plenum zu diskutieren. Wer mit Videomaterial arbeiten möchte, benötigt ggf. eine Kamera (Smartphone ist auch ausreichend) sowie eine Videoschnittsoftware.
Empfohlene Lektüre für die Meisterklasse:
Weidle, Franziska 2021. „Vom Umgang mit Code: Computational Correspondence als Annäherung an eine neue audiovisuelle Ethnografie“, Kuckuck 1(21): 46-49.
Um Anmeldung sowie ein kurzes Motivationsschreiben (150-200 Wörter) wird gebeten bis zum 14.4. an Franziska Weidle: weidle.franziska@gmail.com
Die Meisterklasse wird organisiert von Jutta Wiesemann und Martin Zillinger und wird geleitet von Franziska Weidle und Judith Schein.
Franziska Weidle (PhD) ist visuelle Anthropologin, Film- und Medienmacherin sowie Bildungsreferentin. Derzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. In ihrer Promotion beschäftigte sie sich mit dem Einfluss von Mediensoftware auf die Theorie und Praxis des dokumentarischen und ethnografischen Filmemachens. In diesem Zusammenhang untersuchte sie die Korsakow-Software und ihre Rolle innerhalb verschiedener dokumentarischer Praktiken.
Judith Schein (M.A.) ist freischaffende Filmemacherin. Sie studierte Kulturanthropologie mit Schwerpunkt Visuelle Anthropologie an der Georg-August-Universität Göttingen. Zu ihren audiovisuellen Projekten gehören die nonlinearen Dokumentarfilme »Zeitzeugengespräche – Migrant*innen & die friedliche Revolution« (2020) und »Islam sinnlich erfahren« (2020) sowie der dokumentarische Langfilm »Was bleibt – ein Nachruf auf Wilhelmine und Bernard« (2017), für den sie 2018 den Manfred-Krüger-Preis erhielt.
Literatur
Hansen, Mark B.N. 2010. New Media, in W. J. T. Mitchell and Mark B. N. Hansen (eds.), Critical Terms for Media Studies, 172–85. Chicago, IL: Chicago University Press.
Favero, Paolo und Eva Theunissen 2018. ‚With the smartphone as field assistant: Designing, making, and testing EthnoAlly, a multimodal tool for conducting serendipitous ethnography in a multisensory world‘, American Anthropologist 120(1): 163-167. https://doi.org/10.1111/aman.12999
Weidle, Franziska. 2020. Of Trees and Clouds. Software-mediated Visions in Documentary and Ethnographic Filmmaking Practices. Göttingen: V&R unipress.
Veranstaltungsort
AH-A 217/218