Die Tagung findet im Artur-Woll-Haus in Siegen in Raum AE-A 101-103 statt.
Dass das achtzehnte als das “Jahrhundert der Freundschaft” firmiert, gehört zum common sense literatur-, begriffs- und sozialgeschichtlicher Forschung. Die Freundschaftskonzeptionen seit der frühen Aufklärung und den Moralischen Wochenschriften rechtfertigen dies ebenso wie insbesondere die Empfindsamkeit mit ihrem Freundschaftslob und ihren Freundschaftskreisen und zugehörigen Ritualen, schließlich die folgenden heroisch modellierten Dichterfreundschaften. Als Charakteristikum und wesentliches Moment der Attraktivität der Freundschaftssemantik gilt der ihr seit ihren Anfängen inhärente Gleichheitsbezug. Ständische Ungleichheitsstrukturen überschreitend, fungiert die symmetrisch gedachte Beziehung unter Freunden als Ideal und soll Individualisierungschancen bieten. Aber kann man nicht “leichter eine weiße Amsel als einen treuen und vollkommenen Freund finden” (Pierre Portes)? Vor allem die fortgesetzte Bedeutung ständischer Privilegien und supplementärer Patronageverhältnisse in der gelehrten/literarischen Welt des achtzehnten Jahrhunderts lässt vermuten, dass die historische Semantik der Freundschaft ihnen nicht unbedingt entgegenzusetzen ist. Seit ihren aristotelischen Anfängen hat diese vielmehr auf asymmetrische Sozialbeziehungen reflektiert; und sie wird darin von der pragmatischen Literatur seit der frühen Moderne beerbt. Ein von Denis Diderot und Claude Yvon im Artikel “Amitié” der Encyclopédie angeführtes altes Sprichwort lautet: “amicitia aut pares invenit, aut facit”. Unter der Voraussetzung von Ungleichheit scheint das Vorzeichen der Freundschaft Prozesse des Aushandelns, der zumindest situativen respektive passageren Verfertigung von Gleichheit anzuleiten.
Die geplante Tagung soll nach der Bedeutung der Freundschaftssemantik für literarische Praktiken der Kooperation fragen:
- Was sind die sattelzeitlichen gesellschaftlichen und diskursiven Rahmenbedingungen von Freundschaft?
- Welche Formen von akademischer und literarischer Kooperation nehmen das Vorzeichen von Freundschaft in Anspruch?
- Gibt es eine besondere Klugheit der Freundschaft – eine Klugheit, Freundschaft anzubahnen, zu schließen, zu pflegen, zu beendigen? In welchen Genres wird sie artikuliert, gelehrt, gelernt? Wie wird sie angewendet?
- Wie strapazierfähig ist Freundschaft im Dissens – und wie wird die Umschlägigkeit von Freundschaft in Feindschaft bedacht?
- Wann und von wem werden freundschaftliche Beziehungen als Patron-Klient-Verhältnisse begriffen?
- Welche Rolle spielt Freundschaft bei Publikationen – und wird sie öffentlich kommuniziert? Welche rhetorischen Codes werden dabei in Anspruch genommen?
- Welche Dis-/Kontinuitäten sind an der Freundschaftssemantik von der alteuropäischen Tradition bis hin zur Moderne zu beobachten?
Fragen dieses Typs sollen quellennah diskutiert werden. Themenvorschläge sind willkommen.
Wir laden interessierte Forscherinnen und Forscher zur Teilnahme ein. Bitte senden Sie Abstracts eines dreißigminütigen Vortrags mit einer kurzen biografischen Notiz und/oder Rückfragen bis zum 8. Juli 2018 per Mail an folgende Adresse: monika.traut@uni-siegen.de.
Programm
Donnerstag, 06. Dezember:
10.00: Nadja Reinhard (Siegen): Begrüßung
10.15: Georg Stanitzek (Siegen): Einleitung: Zur Semantik der Freundschaft im 18. Jahrhundert – Begriffe und Praktiken
11.00: Julian Scherer (Siegen): Feindschaft in Klugheitslehren der Frühaufklärung
11.45: Kaffeepause
12.15: Stephanie Blum (Saarbrücken): „Freund, wo du redlich liebst: So lobe mich nicht mehr!“ – Freundschaftssemantiken in poetologischer Lyrik der Frühaufklärung
13.00: Mittagspause
14.15: Helmut Zedelmaier (München): Johann Wilhelm Ludwig Gleim – Freundschaftliche Briefe
15.00: Andree Michaelis-König (Frankfurt/O.): Moses Mendelssohns prekäre Freundschaften. Jüdisch-nichtjüdische Gelehrtenbeziehungen zur Zeit der deutschen Aufklärung
15.45: Kaffeepause
16.15: Hans Graubner (Göttingen): Freundschaft als Konkurrenz im Sturm und Drang. Zum frühen Verhältnis von Herder zu Hamann und Goethe zu Herder
17.00: Schluss
19.00: Gemeinsames Abendessen
Freitag, 07. Dezember:
10.00: Klaus-Dieter Eichler (Mainz): „Freundschaft als bloße … Idee“. Kant über Freundschaft
10.45: Christian Sieg (Münster): Wahrheitsfreunde? Zur Idee und Praxis der Kooperation des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde
11.30: Kaffeepause
12.00: Carsten Zelle (Bochum): Diderots Erzählung „Die beiden Freunde von Bourbonne“
12.45: Ende der Tagung