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Bundle Theorie

Im Umgang mit dem Bundle Explorer: Berühren gibt es an filmischen ‚Präparaten‘ vielfältige Situationen und Weisen des Berührens in der digitalen Kindheit zu entdecken. Die verwendeten kamera-ethnographischen Materialen sind Ergebnis eines interessiert hinschauenden Filmens und analytisch fokussierenden Schneidens. So lassen sich auch nonverbale Praktiken aus der Anschauung heraus untersuchen. Der Bundle Explorer: Berühren ist der Prototyp eines neu entwickelten Forschungstools.
Mit einem Bundle Explorer, so die Idee des neuen Tools, lassen sich Erkundungspfade und Denkwege zu ganz unterschiedlichen Praktiken und Themenfeldern anbahnen. Diese Pfade verlaufen zwischen Beobachtungsmaterialien (im Fall des Bundle Explorers: Berühren sind dies kamera-ethnographische Filmszenen) und ihrer dichten Beschreibung als situierte Praktiken im Rahmen eines Sprachspiels (bei unserem Prototyp ist es der Begriff ‚Berührung‘, der auf diese Weise praxeologisch untersucht wird).
„Wähle eins …“ lautet schlichtweg die Anweisung über einem Tableau von Standbildern, das 12 Filme repräsentiert. Wird der Anweisung gefolgt, öffnet sich ein Fenster mit dem gewählten, sowie einem weiteren Film. Das macht neugierig: Warum diese beiden Filmen zusammen? Dies legt die Spur eines Forschungsweges an.
Zu den jeweiligen Filmszenen werden Beschreibungen und Fragen angeboten. Auf selbstgewählten Wegen durch den Explorer ergeben sich Vergleiche, Unterscheidungen und Zuordnungen, schließlich auch Kategorien, Überschneidungen und Grenzfälle. Die Identifizierung der Bündel, in die Praktiken verwoben sind, eröffnet einen Zugang zur jeweiligen Situierung; das Spektrum an Situierungen wiederum bietet die Basis für eine praxeologische Konturierung von ‚Berührung‘ als Praxis und Begriff.
Im Falle des Prototyps Bundle Explorer: Berühren zielt dies auf ein neues Verständnis situierter Sinnespraktiken in digitalisierten Alltagswelten, zunächst im Feld der digitalen Kindheit. Forschenden bietet der Bundle Explorer Raum, ihre eigenen Beobachtungen und Überlegungen zu formulieren und einzubringen, und sich so an der weiteren Entwicklung des Explorers zu beteiligen.

Methodologie

Aus praxeologischer Sicht können Praktiken als in Bündeln von Praktiken sowie in Praxis-Arrangement-Bündeln auftretend betrachtet werden. Schatzki (2016: 33) schreibt: „Praktiken und Arrangements formieren sich insofern zu Bündeln, als 1. Praktiken materielle Arrangements hervorbringen, gebrauchen, verändern, auf sie gerichtet oder untrennbar mit ihnen verbunden sind und 2. Arrangements Praktiken ausrichten, präfigurieren und ermöglichen.“ Der methodentheoretische Impuls aus der Kamera-Ethnographie (siehe Mohn 2023) besteht darin, die „Praxis-Arrangement-Bündel“ (nach Schatzki) noch um die Bündelung von Praktiken mit Praktiken zu erweitern. Auf diese Weise zeigt sich das Situative als ein dichter Handlungszusammenhang von sich wechselseitig bedingenden Praktiken und Umgebungen: Ihre Bündelung zeigt an, wie eine Praktik situiert ist. Mit dem Bundle Explorer untersuchen wir beides, wie Praktiken mit Praktiken gebündelt auftreten und wie ihre Umgebungen und materiellen Settings daran partizipieren. Daran anschließend betrachten wir situierte Praktiken als Fälle im Rahmen eines semantischen Feldes (hier ‚Berührung‘), dass wir im Sinne einer „grammatischen Untersuchung“ (nach Wittgenstein, vgl. Griesecke und Kogge 2022) prüfen, befragen und konturieren. Im Ergebnis stellt der Bundle Explorer ein multimediales Skript bereit, aus dem unterschiedliche zeitliche und räumliche Arrangements der untersuchten Materialien hervorgehen können, im Sinne einer „zeigenden Grammatik“ (Mohn 2023: 160).

Über uns

Der Bundle Explorer wurde von Bina Elisabeth Mohn, Astrid Vogelpohl und Pip Hare im Rahmen der Zusammenarbeit (2016-2023) im kamera-ethnographischen Forschungsprojekt „Frühe Kindheit und Smartphone. Familiäre Interaktionsordnung, Lernprozesse und Kooperation“ (Leitung: Jutta Wiesemann), einem Teilprojekt des SFB 1187 „Medien der Kooperation“ an der Universität Siegen, entwickelt.
Entstanden ist der Bundle Explorer, den wir als Beitrag zu einer praxistheoretischen Methodenentwicklung verstehen, im Rahmen einer Orientierung der Kamera-Ethnographie an Wittgenstein, seinem Sprachspiel Ansatz (grammatische Untersuchung/ übersichtliche Darstellung) und dessen Abwandlung in eine ‚zeigende Grammatik‘.  Zum Thema „Sinnespraktiken in digitalen Kindheiten“ hat dieses Forschungsprojekt 2023 einen Sammelband veröffentlicht und eine Ausstellung durchgeführt, beides unter dem Titel „Berührung neu erfinden“. 

Quellen

Griesecke, Birgit/Kogge, Werner. 2022. Mit Wittgenstein arbeiten. Ein Methoden Manual, in: Collaborative Research Center 1187 Media of Cooperation (Hrsg.), Working Paper Series.

Mohn, Bina Elisabeth. 2023. Kamera-Ethnographie. Ethnographische Forschung im Modus des Zeigens. Programmatik und Praxis, transcript, Bielefeld.

Mohn, Bina Elisabeth et al. 2023. Berührung neu erfinden. Sinnespraktiken in digitalen Kindheiten. Ein Blicklabor an 10 kamera-ethnographischen Szenen (Reinventing Touch. Sensory Practices in Digital Childhoods. Diverse perspectives encounter 10 camera ethnographic scenes), in: LIT Book Series Camera Ethnography, Berlin, Münster, Wien, Zürich, London

Schatzki, Theodore R. 2011. „Where the Action Is. On Large Social Phenomena Such as Sociotechnical Regimes“, in: Sustainable Practices Research Group (Hrsg.), Working Paper 1

Schatzki, Theodore R. 2016. „Praxistheorie als flache Ontologie“, in: H. Schäger (Hrsg.), Praxistheorie. Ein soziologisches Forschungsprogramm, Bielefeld, 29-44.

Fördervermerk

Teilprojekt B05 „Frühe Kindheit und Smartphone. Familiäre Ordnung. Lernen und Kooperation“. Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des SFB 1187 „Medien der Kooperation“, Universität Siegen, Projektnummer 262513311

Team

Bina E. Mohn

Bina hat viele Jahre als Kulturanthropologin zu der Frage geforscht, wie eine mit der Kamera durchgeführte ethnographische Forschung dazu beitragen kann, epistemische Dinge hervorzubringen. Daraus entstand die „Kamera-Ethnographie“, die sie seit den 1990er Jahren sowohl unabhängig als auch eingebunden in wechselnde Forschungskollektive entwickelt hat. 2023 erschien ihr Buch „Kamera-Ethnographie. Ethnographische Forschung im Modus des Zeigens. Programmatik und Praxis“.
Nach ihrem Studium der Kulturanthropologie, visuellen Anthropologie und Soziologie wissenschaftlichen Wissens promovierte sie zu den „Spielarten des Dokumentierens nach der Repräsentationskrise“.
Von 2016 bis 2023 leitete Bina das Kamera-Ethnographie Team im Forschungsprojekt „Frühe Kindheit und Smartphone“ des SFB „Medien der Kooperation“ (Universität Siegen). Als freiberufliche Ethnographin, Autorin, Beraterin und Coach bietet sie einführende Workshops zur Methodologie und Praxis der Kamera-Ethnographie sowie eine Begleitung ethnographisch orientierter Forschungsteams an, die den Umgang mit Medien in ihrer Forschungspraxis reflektieren und gestalten möchten.
E-Mail: kontakt@kamera-ethnographie.de

Astrid Vogelpohl

Astrid ist seit Beginn (2016) Mitarbeiterin im SFB 1187 „Medien der Kooperation“ an der Universität Siegen, im Teilprojekt B05, „Frühe Kindheit und Smartphone“.
Im Oktober 2024 verteidigte sie ihre Dissertation mit dem Titel „Das bin ich. Kamera-ethnographische Beobachtungen zu Subjektivationspraktiken im digitalen Familienalltag junger Kinder“.
Seit Abschluss ihres Studiums der Kulturpädagogik, Hauptfach Audiovisuelle Kommunikation, an der Universität Hildesheim, übt sie eine freiberufliche Tätigkeit als Videoproduzentin, Medienpädagogin und Dokumentarfilm-Cutterin aus. Besonders interessiert sie sich für die Potenziale von Formen multimedialen Erzählens.
E-Mail: astrid.vogelpohl@uni-siegen.de


Pip Hare

Pip studierte Sozial- und Kulturanthropologie (BA) in Berlin und visuelle Anthropologie (MA) an der Granada Centre, University of Manchester; ihre Abschlussarbeiten bei beiden Studien waren Dokumentarfilme. 2016 – 2023 forschte sie in Deutschland, Österreich und Indien als Kamera-Ethnographin im Projekt „Frühe Kindheit und Smartphone“. Sie interessiert sich für das Außergewöhnliche im Gewöhnlichen und das Gewöhnliche im Außergewöhnlichen, und setzt sich immer wieder mit den ethischen, medienspezifischen und pragmatischen Grenzen audiovisuellen Forschens auseinander. Zusätzlich übersetzt sie aus dem Deutschen ins Englische und lektoriert englischsprachige wissenschaftliche Texte.
E-Mail: wordwise@gmx.de